14/10/2011

NEWSLETTER Nº 43: HACCP – wieviel Sauberkeit darf der Staat verlangen ? (Teil 2)

Der EuGH hat sich in zwei aktuellen Urteilen mit der Frage befasst, wie weit der sog. Lebensmittelunternehmer entsprechend den HACCP-Grundsätzen verpflichtet ist, Kontaminationen zu vermeiden oder auf ein annehmbares Mass zu reduzieren.

Im zweiten Fall ging es um die Frage, ob Selbstbedienungsverkaufsboxen für Brot- und Gebäckstücke so einzurichten sind, dass der Inhalt nur mit technischen Hilfsmitteln wie Zangen und Schiebern entnommen werden kann und ein Zurückgeben bereits aus der Box entnommener Ware unmöglich ist. Nach Ansicht des Landeshauptmanns von Wien bestehe ansonsten die Gefahr, dass der Kunde die Ware mit der blossen Hand entnehme, sie abtaste oder anhusten bzw. anniesen könne. Die Grundlage für die Ausstattung von Selbstbedienungsverkaufsboxen ergebe sich aus der EU-VO wie folgt:

„Lebensmittel sind auf allen Stufen der Erzeugung, der Verarbeitung und des Vertriebs vor Kontaminationen zu schützen, die sie für den menschlichen Verzehr ungeeignet oder gesundheitsschädlich machen bzw. derart kontaminieren, dass ein Verzehr in diesem Zustand nicht zu erwarten wäre.“

Der EuGH teilt die Ansicht der Behörde nicht, zumal die hygienische Unbedenklichkeit solcher Selbstbedienungsverkaufsboxen gutachterlich nachgewiesen sei und diese schon seit Jahren zu hunderten in deutschen Ladengeschäften in Betrieb seien. Der EuGH hat vielmehr für Recht erkannt, dass “bei Selbstbedienungsverkaufsboxen für Brot- und Gebäckstücke der Umstand, dass ein potenzieller Käufer die zum Verkauf angebotenen Lebensmittel denkmöglich mit bloßen Händen berühren oder sie anniesen kann, für sich allein nicht die Feststellung erlaubt, dass diese Lebensmittel nicht vor Kontaminationen geschützt sind, die sie für den menschlichen Verzehr ungeeignet machen … bzw. derart kontaminieren, dass ein Verzehr in diesem Zustand nicht zu erwarten wäre”.

Beide Urteile (das erste vgl. NEWSLETTER Nº 42) sind für die Lebensmittelpraxis (vom Handel bis zum Restaurant) wichtig, weil den Behörden der Gewerbeaufsicht Grenzen gesetzt werden. Bei HACCP geht es um die Möglichkeit der Vermeidung von Kontamination, aber nicht um die Verpflichtung, sie 100% auszuschliessen. Lebensmittelboxen mit Sicherheitsverschluss, Wasserhähne, die ohne Handbetätigung funktionieren, sind nicht nur angesichts der wirtschaftlichen Krise teure Anschaffungen, sondern auch Forderungen von Behörden, die weder mit EU-Recht noch mit dem Übermassverbot in Einklang stehen.

Die für die Gewerbeaufsicht in Portugal zuständige Behörde ist die ASAE (Autoridade de Segurança Alimentar e Económia); sie untersteht dem Wirtschaftsministerium, ist aber ein Organ der Kriminalpolizei ! Seit vielen Jahren sind in Portugals Restaurants und Kneipen die nachfüllbaren “Galheteiros” (Ständer mit Essig- und Ölkännchen) verschwunden – dank der ASAE. Da war die Überraschung gross, als vor kurzer Zeit in einer echten kölschen Kneipe auf allen Tischen  diese nachfüllbaren “Galheteiros” standen.

Mit bestem Gruss,

Ihr

CONLUSA-Team

Quellen:
- Urteil des EuGH vom 6.11.2011 in der Rechtssache C-381/10 (Preissl ./. Landeshauptmann von Wien);
- EU-VO Nr. 852/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 über Lebensmittelhygiene




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